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Milans schwarzer Tag im "roten" Livorno

"Spielen denn hier tatsächlich alles Kommunisten?», fragte Milans Mittelstürmer Andri Schewtschenko, in dessen Heimat, der Ukraine, das alte Regime gerade abgedankt hat. Dass Milan, der Meister, im «roten» Livorno im ersten Spiel der Rückrunde 0:1 verliert, ist gut für die «Alte Dame» Juventus, die jetzt mit fünf Punkten Vorsprung führt. Aber es war ein schwarzer Tag für Silvio Berlusconi.

Im Ball steckt nicht einfach nur Luft, sondern, wie schon die Lästerzunge Max Merkel wusste, ein Frosch ("darum hüpft er so»). Eine Kröte. Auch an diesem verregneten Sonntagnachmittag in Livorno. Und die Kröte schlucken musste er, der Besitzer des preisgekrönten Artistenzirkus der AC Milan, auch wenn er selber, wegen seiner Pflichten als Ministerpräsident, der ein italienisches Kriegsopfer im Irak zu betrauern hatte, nicht zugegen war im einzigen Fussballstadion des Stiefels, das sich in der Hand seiner Feinde, der «Kommunisten», befindet. Letzte Woche hatte Berlusconi als vorauseilender Wahlkämpfer (gewählt wird erst 2006) vor dem Elend gewarnt, das die Linken überall säen. Ich bin das Gute, sagte der Messias B., alles andere ist schlecht. Ich oder die andern. In Livorno siegten, sein Pech, die andern.

Livorno ist diese Saison nach einem halben Jahrhundert Marginalisierung in die Serie A zurückgekehrt, mit einem feurigen Ultra-Stamm, der linke Parolen schwingt und im Hinspiel in Mailand im heissen September Wollmützen trug, um Berlusconi zu ärgern, der nach einer Haartransplantation den Kopf mit einer «Bandana» verhüllte. (Und Livorno erreichte ein überraschendes 2:2-Remis.) Fast alle Tifosi-Kurven werden vom Lärm der Rechts-Sympathisanten und rechts- extremistischer Klüngel (wie etwa Lazio und die AS Roma) beherrscht und terrorisiert. Mit Ausnahme, welche Ironie, von Berlusconis Spielzeug: Der Anhang der AC Milan wurzelt traditionell in der Arbeiterschaft. Livorno ist aber auch Heimat und Klub des linksliberalen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi, der mit Berlusconi dauernd im Clinch liegt um die Verfassungsmässigkeit der Gesetze, die der Regierungschef zu seinem eigenen Nutzen schneidern lässt. Etwa die neue Fernsehordnung, die dem Medienmogul ermöglicht, digitale Programme zu verbreiten - seine Mediaset übertrug, zum Pay-per-view- Spottpreis von drei Euro, auch den Milan-Absturz aus Livorno.

Livorno gegen Milan war, abgesehen von diesem polemischen Zündstoff, auch Anlass für ein herzliches Wiedersehen alter Freunde: Milan- Trainer Carlo Ancelotti umarmte Roberto Donadoni, den neuen Coach auf der Livorno-Bank. Sie hatten noch Seite an Seite im Mittelfeld der grossen Milan-Mannschaft unter dem Revolutionär Arrigo Sacchi gespielt, Ancelotti stand für Substanz, Donadoni für Phantasie, und beide sind überzeugte Sacchianer geblieben. Während Ancelotti, inzwischen 45-jährig, eine schnörkellose Trainerlaufbahn an ersten Adressen einschlug (über Parma und Juventus zu Milan), verschlug es den zwei Jahre jüngeren Donadoni als Spieler noch nach New York und in den Nahen Osten. Auf der Ochsentour als Trainer kam er schon einmal, 2002, nach Livorno in die Serie B, wurde nach einem zehnten Platz und 2003 in Genua nach drei Niederlagen in den ersten drei Spielen entlassen. Seither war er arbeitslos, bis ihn Livornos Präsident Aldo Spinelli zurückrief. Spinelli ist ein Transportunternehmer auf Strasse und Meer, der vor zehn Jahren Berlusconis Eintritt in die Politik unterstützte, jetzt aber ins Mitte-Links- Lager umgeschwenkt ist.

Die politische Polarisierung hat endgültig die Stadien erreicht, mit vehementer Vulgarität. In Livorno liess ein Transparent jenen Mann hochleben, der Berlusconi auf offener Piazza Navona attackierte. Als der Lazio-Spieler Paolo Di Canio, ein bekennender Mussolini-Nostalgiker, das Land mit seinem Faschistengruss erregte, antwortete der Livorno-Stürmer Cristiano Lucarelli, ein Jünger Che Guevaras, aus der eigenen Arena mit hochgereckter linker Faust. Aber nicht der Torjäger Lucarelli hat Milan besiegt, sondern ein Ersatzstürmer namens Corrado Colombo, einst von Inter Mailand abgeschoben. Er profitierte in der 28. Minute, nachdem Milans brasilianischer Torhüterriese Dida einen Kopfstoss des Portugiesen Vidigal nach vorne hatte abprallen lassen. Zuletzt verloren die nervösen Mailänder noch den Stopper Nesta wegen eines Notbremse-Fouls.

Der momentane Schwächeanfall des Meisters ist unübersehbar: Milan blieb in den letzten drei Auswärtsspielen erfolglos, der Goalgetter Schewtschenko, der sich in Livorno von "Kommunisten" umzingelt wähnte, sieht das Tor nicht mehr. Milan fehlte der gesperrte Regisseur Pirlo, doch Ancelotti schickte den logischen Stellvertreter Rui Costa erst nach 75 Minuten auf den Platz, zu spät für eine Wende. Das Spiel machte der unbekannte Dario Passoni für Livorno, ein 31-Jähriger, der eine Zeitlang als Fussballsöldner bei Uralan Elmista im kalmückischen Ural im einstigen Reich des Bösen verschollen war - die Gefahren für Berlusconi lauern überall. Das Stadion sang «Bandiera Rossa», die alte Hymne der KPI. Der letzte Sieg Livornos gegen Milan lag auch schon 56 Jahre zurück.

Neue Zürcher Zeitung,
25. Januar 2005, 02:17